Josephinenstr. 15

Zu einer Installation von Oliver Kruse in der Galerie Brüning, Düsseldorf, 2001, von KATJA BLOMBERG, Kat. Oliver Kruse, Josephinenstraße, Düsseldorf 2002

Die Spannung war groß. Die Installation störte, und sie störte nicht. Sie war voller Harmonie, weiß, makellos und bis ins Kleinste berechnet. Sie wirkte aber auch eingeklemmt in eine Architektur, die zugleich mit dem Betrachter in ihre Schranken gewiesen wurde. Der umbaute Raum war knapp, das Publikum zwängte sich nahe dem plastischen Körper mit dem Rücken zur Wand daran entlang. Unmittelbar wurde der Betrachter in die sinnliche Anordnung eingespannt. Wie ein hartes Ei in seine Schale passt die zweiteilige Rauminstallation aus gewaltigen Styroporblöcken ineinander, die der im Grenzbereich zur Architektur arbeitende Bildhauer Oliver Kruse im Herbst 2001 für die neu eröffneten Galerieräume von Andreas Brüning in Düsseldorf geschaffen hat. Hülle und Kern sind klar aufeinander bezogen. Sie bilden Raum und verdrängen ihn. Sie schließen ihn ein und aus. Raumschale und plastische Volumina gehen in zwei Schritten harmonisch auf jene Architektur ein, für die sie geschaffen wurden: Flur und Zimmerflucht einer sachlich durchorganisierten Stadtvilla im Bauhausstil der 20er Jahre. Erste Überlegungen verzahnten das Innere des Hauses mit einer gegenüberliegenden GrünflaÅNche im Freien. Doch dann konzentrierte Oliver Kruse die raumplastische Arbeit mehr und mehr auf die Innenräume. Er zeichnete Ellipsen und brachte sie in unterschiedlichen Positionen mit dem Grundriss des Hauses zur Deckung. Darin sollte Raum plastisch optimal ausgenutzt und zugleich extrem verändert werden. Am Ende stand ein ellipsoider Körper mit den gewaltigen Maßen von 3.00 x 4.80 x 1.60 Metern; eine Mischung aus Ufo und Käfer, der flach im Ausstellungsteil der Zimmergalerie gelandet schien. Das Pendant zu diesem massiven Formkörper hatte man bereits als Leerraum durchschritten. Als Prelude hatte den Eintretenden das aufrecht gekippte Negativvolumen des im Hauptraum vollplastisch ausgeführten Formkörpers wie eine bergende Schale im Hausflur empfangen.

In einem Spezialbetrieb für Industriemodellbau fand Kruse nicht nur die Offenheit zur künstlerisch zwekkfreien Zusammenarbeit. Hier standen ihm auch die technischen Mittel zur Verfügung, die nötig sind, um einen so komplexen Körper wie einen Ellipsoid umsetzen zu können. Zwischen zwei industriellen Arbeitsgängen wurden die Styroporblöcke, die normalerweise Dämmaterial oder Verpackungsformen abgeben, in eine abgeschlossene Kammer gestellt und vollautomatisch von einer computergesteuerten Fräse ausgeschnitten. Mehrere zusammengefügte Blöcke bildeten die Ausgangsform. Dann wurden nach genauen Werkangaben des Bildhauers eine positive und eine negative Grundform herausgeschält, die später in der Galerie montiert wurden. Um eine Ellipse mit ihren beiden festen Brennpunkten als dreidimensionale Form exakt herstellen zu können, bedarf es modernster Computertechnik. In der hier umgesetzten Präzision wäre so ein komplexer geometrischer Körper vor wenigen Jahren noch kaum ausführbar gewesen. Oliver Kruses eigens für den Ort, die Galerie, entwickelte Arbeit in zwei Teilen stellte konventionelle Architekturwahrnehmungen entschieden infrage. Von der Straße kommend geriet der Besucher im Eingangsbereich in eine akustisch abgefederte Zone. Wände und Decken aus dickem Styropor erzeugten eine friedliche Stille, wie sie sonst vielleicht den Einsamen im Schneegebirge umfängt. Eintretend befand sich der Besucher unvermittelt im Inneren einer Plastik, die ihn als Hohlform in sich aufnahm. Trotz der beengten Raumverhältnisse eines schmalen Flurs war die helle, gedämpfte Stimmung physisch spürbar. Die Zeit schien still zu stehen. Die Schönheit der Form strahlte kathartische Geborgenheit aus und führte zu dem sicheren Gefühl innerer Unbeschwertheit.

Was machte die Installation in der Galerie jedoch zeitgenössisch überzeugend und schön zugleich? Für Aristoteles war »Schönheit« Ordnung, Ebenmaß und Bestimmtheit, wie sie die mathematischen Wissenschaften demonstrieren und wie sie in der Kunst vollkommener präsent ist als in der Natur. Auch in den nachfolgenden Jahrhunderten wurde das, was Menschen in unvereinbarter Übereinstimmung als schön empfinden, stets mit Symmetrie, Maß, Einheit, Zahl, Licht und Ordnung in Verbindung gebracht – Größen, die auch in Kruses Installation den eigentlichen Inhalt ausmachen. Nach Augustinus sind »Gleichheit und Maß die entscheidenden, vernünftigen Kriterien positiver sinnlicher Schönheit, und ohne Gleichheit und Maß sei nichts wirklich schön«, wie Michael Hauskeller in seiner Anthologie »Was das Schöne sei« (1995, S.72) treffend zusammenfasst.

Doch Kruses Installation wirkte nicht nur ästhetisch sondern auch physisch. Im Eingang wurde man als Betrachter Teil des Ganzen, spürte, dass der Klang der Stimme, die Temperatur der Haut, das Auge, das nur an den geometrischen, den eingeschnittenen Kanten Halt fand, unmittelbar reagierten. Zwischen eiskalt und wohlig geborgen bewunderte man die Schönheit des asymmetrisch eingesetzten Schnittes und war an plastische Raumschnitte erinnert, wie sie Kurt Schwitters oder Douglas Gordon im 20. Jahrhundert zur Irritation des Raumgefühls eingesetzt hatten.